Gottesdienste finden nur heimlich statt. Christsein ist für Jemeniten verboten – und Ausländer fürchten Repressalien

Drei Jahre hat Tobias aus beruflichen Gründen im Jemen gelebt – aber keinen deutschsprachigen Christen getroffen. Fragt man in offiziellen Stellen nach, hält man sich dort bedeckt. „Leider können wir keine Namen nennen oder Kontakte vermitteln,“ heißt es da meistens. „Eine evangelische Gemeinde gibt es im Jemen nicht,“ teilt der deutsche Auslandspastor für die arabischen Gebiete mit Sitz in Teheran mit.
 
Doch es gibt auch im Jemen Christen – wenn sie auch nicht gross in Erscheinung treten. Man muss schon mit Beharrlichkeit recherchieren. Vor dem 11. September 2001 lebten noch wesentlich mehr Ausländer als heute im Jemen. Dann danach wurden ausländischen Studenten, vor allem aus den USA, die Stipendien entzogen. Die deutsche Botschaft spricht von rund 300 Deutschen im Jemen. Diese arbeiten als Deutschlehrer, in der Entwicklungshilfe, zeitweise an Ausgrabungsprojekten und für deutsche Unternehmen. Betreut werden neben Touristen auch die mit Jemeniten verheirateten deutschen Frauen.
Bis vor fünf Jahren stellte eine Mineralölgesellschaft den Christen in Sana`a einen Saal für ihre Gottesdienste zur Verfügung. Doch aus Furcht vor Angriffen radikaler Jemeniten teilte man die christlichen Gruppen auf – sie treffen sich jetzt nur noch in vier evangelischen Hauskreisen in der Hauptstadt. Etwa dreißig Christen gehören zu jedem Kreis: vor allem Freikirchler, Anglikaner, aber auch Adventisten. Nur die Katholiken finden sich auch in der Diaspora nicht mit den Protestanten zusammen. Sie werden von zwei Ordensschwestern betreut.
 
„Erwähnen Sie bitte in Telefonaten und E-Mails nicht das Wort „Christen“, sagen uns Marlis und Rainer, die aus dem Taunusgebiet stammen und seit mehr als zehn Jahren in der Hauptstadt Sana`a arbeiten. Sie haben auch Angst vor Anfeindungen. Zwar gesteht der Staat ausländischen Christen die Ausübung ihres Glaubens vom Gesetz her zu, solange sie nicht missionieren. Und die Wahlen im September bestätigten mit großer Mehrheit die demokratische Regierung.  Die Furcht vor Extremisten bleibt jedoch. „Mit unseren Nachbarfrauen komme ich prima aus; sie haben uns bestätigt, dass sie den alten Präsidenten wählen. Auch für uns - denn wären die Radikalen an die Macht gekommen, hätten sicher alle Ausländer das Land verlassen müssen.“ Doch Marlis, Rainer und ihre Kinder möchten zur Zeit nicht nach Deutschland zurück. „Warum seid Ihr denn noch hier?“ werden sie manchmal von Besuchern gefragt. „Gott hat uns hierher geschickt“, antworten sie dann einfach.
Rainer hat nur beruflich Kontakt mit Einheimischen. In ihre Häuser geht er nicht, denn er darf ja den jemenitischen Ehefrauen und heranwachsenden Töchtern nicht begegnen, die daheim europäisch gekleidet und natürlich unverschleiert sind. Ohne Gesichtsschleier darf sie jedoch nur der Ehemann, Bruder oder Vater sehen. Niemals jedoch ein enger Freund des Mannes – und schon gar kein Fremder!
 
In unregelmäßigen Abständen verabreden sich Marlis und Rainer mit anderen Christen zur Feier von Gottesdiensten. Weihnachten begehen sie im umzäunten und bewachten Gelände der internationalen Schule –  die auch die Präsidentenkinder besuchen. In ihrem Haus, zum Hauskreisgottesdienst in englischer Sprache, haben sich die Deutschen den
jemenitischen Sitten angepasst. Sie sitzen selbstverständlich ohne Schuhe auf Polstern auf dem Boden. Nur ein Poster „Jesus liebt Dich“ verrät, dass sie Ausländer und Christen sind. Alle Jemeniten sind von Geburt an selbstverständlich Muslime – wechseln sie die Religion, werden sie nach der Sharia mit dem Tode bestraft. Frauen kommen glimpflicher davon:  ihre Familie sperrt sie ein oder sie werden zwangsverheiratet.
 
Nur sporadisch kommen mal Botschaftsangehörige oder mit Jemeniten verheiratete Deutsche in die Haus-Gottesdienste. Das hängt davon ab, wie liberal die Familie ist. Die meisten deutschen Frauen leben hier wie die Jemenitinnen: ein von der Außenwelt weitgehend isoliertes Leben, fixiert auf die Familie. Sie kleiden sich arabisch: ihr Körper unter weiten, langen Gewändern versteckt. Und natürlich stecken alle Haare unter einem Tuch - aber einen Gesichtsschleier brauchen sie nicht. Auch Marlis zieht sich so angepasst an, wenn sie in die Stadt geht – um die Nachbarn nicht zu brüskieren und um keinen Anlass für Provokationen zu bieten. Touristen richten sich nicht immer nach diesen Vorschriften und werden entsprechend angestarrt und herablassend behandelt.
 
Unsicherheit prägen die Beziehungen auf beiden Seiten. „Die Jemeniten sind Terroristen und Entführer“ ist eines der gängigsten Vorurteile von Deutschen, die noch nie mit einem Jemeniten (außer auf der EXPO 2000) gesprochen haben. Und ein Großteil der Bevölkerung Jemens hält alle Christen für unmoralisch. „Das sehen wir ja täglich im Fernsehen, wo ständig Filme mit leichtbekleideten Frauen und ihre Bettgeschichten gezeigt werden.“ So möchten die Jemenitinnen nicht werden – und darum finden sie es gut, dass sie strenge Muslime sind.
Manchmal sprechen Christen mit Muslimen über Religion. „Aber wir ziehen schnell den Kürzeren“, erklärt eine Gottesdienstteilnehmerin. „Wir können ihnen nicht erklären, warum Gott seinen Sohn in die Welt und am Kreuz sterben lassen musste. Wenn Gott so groß ist, sagen unsere jemenitischen Bekannten, dann hätte er doch auch ohne diesen Umweg über seinen Sohn unsere Sünden vergeben können.“   
 
Etwa anders gehen die Uhren in Aden, der Hafenstadt am gleichnamigen Golf und bis zur Vereinigung 1991 Hauptstadt Südjemens. Hier gibt es seit 1860 die Christ Church of Aden – früher auch gern Anlaufpunkt für Seeleute aus aller Welt. Der Groß-Mufti von Aden hat der Gemeinde vor elf Jahren die Restaurierung ihrer Kirche mit der Verordnung erlaubt, dass „die Christen hier so frei ihre Gottesdienste halten dürften wie Muslime in England“. Heute ist die Kirchengemeinde mit ihrer angeschlossenen Augenklinik – hier arbeiten Christen aus aller Welt – auch Anlaufpunkt für die täglich etwa hundert ankommenden Flüchtlinge aus Somalia und die im Jemen lebenden Äthiopier. „Missionieren ist ja im Jemen verboten. Erst Silvester 2002 wurden hier drei nordamerikanische Missionare ermordet. Aber eine gute Sozialarbeit und eine vorbildliche christliche Gemeinschaft sind auch so etwas wie christliche Verkündigung. Und trägt zum Abbröckeln der Vorurteile und Ängste bei“, meint ein langjähriges Gemeindeglied aus Aden.
Ilsemarie Straub-Klein

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